News von der Glarner reformierten Landeskirche

Als die Schweiz die Bombe liebte

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17.10.2017
Vor 50 Jahren wollte die Schweizer Armee eine Atombombe bauen. Selbst führende Schweizer Theologen sprachen sich dafür aus. Der Versuch endete mit der Reaktorkatastrophe von Lucens im Jahr 1969.

Der Konflikt zwischen Nordkorea und den USA erinnert an die nukleare Bedrohung im Kalten Krieg. Auch die Schweiz wollte damals eine Atombombe. «Die Verantwortlichen des Schweizer Militärs waren in den 50er- und 60er-Jahren zusammen mit führenden Vertretern aus Politik und Wirtschaft wild entschlossen, eine Atombombe zu bauen», sagt der Historiker und Journalist Thomas Buomberger. In seinem Dokumentarfilm «Atombombe für den Frieden?» zeigt er die Hintergründe dieses Projektes auf.

Angst vor der Sowjetunion
Nach dem Zweiten Weltkrieg herrschte in der Schweiz eine alles beherrschende Angst vor dem sowjetischen Totalitarismus. «Ohne abschreckende Atomwaffen wähnten sich viele Politiker und Militärs als Angriffsziel der Sowjets. Dabei hat sich die Sowjetunion nie für die Schweiz interessiert», so Buomberger.

Im Jahr 1945 setzte der Bundesrat eine Studienkommission zum Thema Atomenergie ein. Angeblich mit dem Ziel, die zivilen Möglichkeiten der Atomkraft zu studieren. «Bundesrat Karl Kobelt hat damals das Parlament angelogen. Tatsächlich studierte die Kommission auch die militärischen Möglichkeiten der Atomkraft», sagt Buomberger. «Eine Gruppe von drei Wissenschaftlern hat das technische Know-how erarbeitet, um eine Atombombe zu entwickeln», sagt der Filmautor. Allerdings fehlten die Möglichkeiten für geheime Tests. «Als man schliesslich merkte, dass es schwierig war, eine eigene Atombombe zu entwickeln, streckte man die Fühler aus, um eine Atombombe zu kaufen, und fragte ausgerechnet die Sowjetunion an. Das ist alles dokumentiert», sagt Buomberger.

Theologen für den Bau der Atombombe
Ethische Bedenken spielten damals kaum eine Rolle. Erst in den 50er-Jahren entstand eine starke Anti-Atombewegung. Der Sozialethiker Hans Ruh setzte sich in einer von Karl Barth angeführten Gruppe von Theologen gegen die atomare Bewaffnung ein. Die Theologische Kommission des Kirchenbundes, bestehend aus Schweizer Theologieprofessoren, erhielt die Anfrage, ob sich die Schweizer Armee atomar bewaffnen sollte oder nicht. «Die Mehrheit der Kommission beschloss, diese Möglichkeit offen zu lassen. Die Gruppe um Karl Barth protestierte vehement gegen diesen Entscheid, der aus theologischer und ethischer Sicht absolut unhaltbar ist», sagt Hans Ruh: «Die befürwortenden Professoren vertraten eine bürgerlich-rechts orientierte Grundhaltung, auf die ich ihre Zustimmung zurückführe». Sie hätten die Atomwaffen verharmlost, meint Ruh, obwohl die verheerenden Auswirkungen der Bombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki bekannt waren. «Man sprach von miniaturisierten Atombomben und war der Meinung, dass man sich im Ernstfall durch Schutzanzüge und Pillen ausreichend schützen könne.»

Parallelen zu heutigen Konflikten
Hans Ruh zieht Parallelen zur heutigen Krisensituation zwischen den USA und Nordkorea. «Atomwaffen waren und sind niemals eine Lösung für Konflikte. Man muss verhandeln und eine vernünftige Strategie entwickeln, um Eskalationen zu verhindern. Sonst wird es wirklich gefährlich».

Mit seinem Film will Thomas Buomberger über das wahnwitzige Projekt einer Schweizer Atombombe informieren. Andererseits warnt er auch vor militärischen Interventionen. «Ich will darauf hinweisen, dass es nicht gut kommt, wenn man das Militär machen lässt. Man muss es an der kurzen Leine führen, ansonsten wird es zum Selbstläufer», so Buomberger. Die Vorgänge beschreibt der Autor auch in seinem neuen Buch «Die Schweiz im Kalten Krieg». Das Werk gilt als erste umfassende Studie zur Schweiz in dieser Zeit und zeigt auf, wie sich die Schweizer Identität nach dem Zweiten Weltkrieg aus einer Abwehrhaltung heraus entwickelte.

Massive Verstrahlungen in Lucens
Die Schweiz investierte in den Nachkriegsjahren mehrere Hundert Millionen Franken in das Atombombenprojekt. 150 Millionen davon gingen allein in die Entwicklung des Atomreaktors Lucens im Kanton Waadt. Die Schweiz war damals das erste Land, das einen Leichtwasserreaktor zur zivilen Nutzung von den USA kaufen konnte. «Mit der gleichen Technologie entstanden die ersten AKW in der Schweiz, die heute noch in Betrieb sind», so Buomberger. «Leider hatte man daraus mit einer anderen Technologie einen Schwerwasserreaktor entwickelt. Der ist 1969 in Lucens explodiert und hatte massive Verstrahlungen über Jahrzehnte zur Folge. allerdings wurde niemand verletzt.» Nach diesem Unglück stellte die Schweiz die Bemühungen um eine eigene Atombombe ein. Für immer.

Adriana Schneider, kirchenbote-online, 17. Oktober 2017

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