News von der Glarner reformierten Landeskirche

Der Geist weht da, wo Liebe zum Zuge kommt

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28.05.2020
Pfingsten steht im Schatten der grossen Feiertage. Zu Unrecht, sagt der Neutestamentler Moisés Mayordomo. Denn die Geschichte von der Ausgiessung des Geistes ist eine Absage an Rassismus und soziale Schranken.

Moisés Mayordomo, neben Weihnachten und Ostern spielt Pfingsten eine eher untergeordnete Rolle. Mit Recht?

Feiertage haben eine volkstümliche Dynamik, die mit Theologie wenig zu tun hat. Theologisch betrachtet ist das Schattendasein der Pfingsttage nicht berechtigt. Wir verdanken die Pfingsterzählung dem lukanischen Doppelwerk Lukasevangelium und Apostelgeschichte. Lukas stellt dort das Pfingstgeschehen als Vollendung der Geschichte Jesu auf Erden dar.

Ohne Ostern keine Pfingsten. Die Pfingstgeschichte erzählt, wie der Heilige Geist als Flamme über die ersten Christen kam. Was ist der historische Kern dieser Geschichte?
Worauf zielt diese Frage? Wird Pfingsten für den Glauben wichtiger, wenn es historisch verifizierbar ist? Da wäre ich vorsichtig. Die religiöse Sprache der Bibel misst sich nicht an historischen Fakten, sondern sie beschreibt poetisch eine mystische und ekstatische Erfahrung, welche die Menschen gemacht haben. Der Inhalt der Erfahrung war die Begegnung mit dem Auferstandenen und dem Geist Gottes. Lukas versucht dies mit Bildern von lodernden Zungen und Feuer auszudrücken.

Pfingsten gilt als die Geburtsstunde der Kirche. Am Anfang der Kirche steht dieser Geist.
Ja, diese Geisterfahrung gibt der Kirche ganz fundamentale Aufträge mit, die das Wesen der Kirche künftig prägen werden. Erstens: Der Geist bevollmächtigt Menschen und ermutigt sie, unabhängig von ihrem Ansehen. Zweitens: Alle Menschen erhalten den Geist. Männer und Frauen, Alte und Junge, Juden und Nichtjuden, Reiche und Arme, Bürger und Sklaven. Und Pfingsten macht die Kirche kommunikativ: Die Christen reden und werden von allen verstanden. So verleiht der Geist der Kirche eine Mission. Kurz zusammengefasst: Der Geist bringt Ermächtigung, Gleichheit, Kommunikation und Mission.

Das klingt geradezu modern.
Man findet hier schon beinahe die Forderungen der Französischen Revolution nach Gleichheit, Brüderlichkeit und Freiheit.

«Der Geist weht, wo er will», heisst es in Johannes 3.8. Ist es für die Kirche nicht problematisch, wenn der Geist ausserhalb der Institution weht?
Der Heilige Geist ist kein Flaschengeist, man kann ihn nicht einsperren und ihn sich dienstbar machen wie in den orientalischen Märchen. Die starke Aussage von Johannes soll uns davor bewahren, einen christlichen Alleinanspruch auf das Wirken des Geistes zu erheben. Die Kirche tut wohl daran, sich vom Geist berufen und bewegen zu lassen. Doch der Geist ist weiter, grösser und mehr. Er ist der Geist der Schöpfung, der vieles in Bewegung setzen kann.

Wo weht der Geist, gerade heute?
Mit dem Geist kann man viel Schindluder treiben, indem man sich auf ihn beruft und eigene Ansprüche geltend macht. Da braucht es eine Unterscheidung der Geister. Der Geist wirkt da, wo Liebe zum Zuge kommt. Im Neuen Testament gibt es eine sehr enge Bindung des Geistes an eine Ethik der Liebe, Barmherzigkeit, Empathie und Versöhnung. Die Frucht des Geistes, wie der Galaterbrief besagt, sind nicht Wundertaten, fantastische Predigten oder tiefe theologische Einsichten, sondern in erster Linie Liebe (Gal 5,22). Daraus folgert Paulus eine Reihe von Tugenden wie Milde, Freundlichkeit, Sanftmut und Demut. Ich finde dies berührend. Zu Ihrer Frage: Als Theologe hege ich die leise Vermutung, dass der Geist dort weht, wo Versöhnung geschieht, wo Frisches und Neues entsteht und wo Menschen sich für andere und deren Einsichten und Erfahrungen öffnen.

Menschen, die vom Geist erfasst wurden, hatten es nicht einfach. Franz von Assisi, Martin Luther oder Dietrich Bonhoeffer gerieten mit der Kirche in Konflikt.
Überall, wo Türen aufgestossen werden, gibt es Leute, die am Alten festhalten. Es kommt zum Konflikt. Das geschieht in der Politik, Gesellschaft oder auch in der Kirche. Manche Menschen werden zu Bahnbrechern, sie öffnen die Türen zu Neuem und Unentdecktem. Ich denke, die Kirche lernt ja auch, langsam, aber sie lernt. Nach vielen Anläufen konnte Franz von Assisi seine Bewegung in die Grosskirche integrieren. Bei anderen klappte es nicht. Zwischen Martin Luther und dem Papst kam es zum Bruch.

Apropos Luther: Gerade wir Protestanten haben unsere Schwierigkeiten mit dem Spirituellen und der Begeisterung. Lassen wir uns zu stark vom Verstand leiten?
Als Schweizer Reformierte leben wir ja mit dem Komplex, dass wir zu nüchtern sind. Von daher müsste ich Ihre Frage sofort bejahen. Aber ich bin vorsichtig. Muss sich denn der Geist emotionell und ekstatisch zeigen? Warum kann er nicht auch unseren Verstand leiten? Theologisches Nachdenken, Stille geniessen und in Ruhe meditieren, können genauso Formen der Geisterfahrung sein. Dies kann auch in unseren nüchternen Gottesdiensten geschehen. Auf der anderen Seite sollten wir uns auch nicht verschliessen und uns vom Geist anstecken lassen, neugierig werden und Neues entdecken.

Die Pfingstgeschichte berichtet, dass der Geist über die Menschen kommt, unabhängig von Herkunft, Geschlecht oder Ansehen. Macht der Geist die christliche Botschaft universell und ist er eine Absage an Rassismus und Fremdenfeindlichkeit?
Ganz klar! Aber die Pfingstgeschichte geht darüber hinaus. Auf das Pfingstereignis folgt in der Apostelgeschichte eine lange Predigt von Petrus, die mit der Mitteilung endet, dass die ersten Christen alles miteinander geteilt haben. Die erste Gemeinde pflegte eine Art «Urkommunismus».

Das provoziert, damals wie auch heute.
Ja. Das Teilen des Besitzes zeigt das Ideal, das den Menschen, die vom Geist erfasst sind, vorschwebt. In diesem Ideal einer christlichen Gemeinschaft gibt es nicht Arm und Reich. Ethnische oder soziale Differenzen aufgrund des Geschlechtes spielen keine Rolle mehr. Denn alle sind geistbegabt und können etwas beitragen. Diese Vision macht die christliche Botschaft universal und bietet keine Hand für Nationalkirchen, die es in der Geschichte immer wieder gab. Ich stamme ursprünglich aus Spanien. Während der Franco-Diktatur gab es in Spanien eine katholische Nationalkirche.

Die Pfingstgeschichte wird so zum sozialen Zündstoff in der Gesellschaft.
Auch wenn wir dieses Ideal der Güterteilung nicht so verwirklichen können, sollte dieser Ruf in unserer Urteilsbildung und unserem Handeln immer noch wirksam und spürbar sein.

Interview: Tilmann Zuber, kirchenbote-online

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