News von der Glarner reformierten Landeskirche

Durchstart nach Fehlstart?

min
20.07.2020
Kirchenkrise: Ein Rücktritt aus dem Rat, der «Regierung» der Evangelisch-reformierten Kirche Schweiz (EKS) führt zum Rücktritt des Präsidenten und lässt eine Affäre platzen. Eine Einschätzung aus Thurgauer Sicht.

Das Liebesleben des «obersten Reformierten» und Pfarrers Gottfried Locher hat zu einer Schlammschlacht in den Medien sowie mit Anwälten und PR-Agenturen geführt. Dies bedauern das Thurgauer EKS-Ratsmitglied Ruth Pfister und der Thurgauer Kirchenratspräsident Wilfried Bührer zutiefst. Im Zentrum stehen einerseits «Grenzüberschreitungen», die in einer Beschwerde einer früheren persönlichen Mitarbeiterin Lochers thematisiert werden, andererseits die Affäre Lochers mit Ratskollegin Pfarrerin Sabine Brändlin. Beide sind zurückgetreten.

«Vielschichtig und komplex»
«Die Sachlage ist vielschichtig und komplex und dementsprechend ist auch der Umgang damit nicht einfach», sagt Pfister: «Aufgrund der Einhaltung des Persönlichkeitsschutzes ist die Kommunikation sehr anspruchsvoll, was zwangsläufig zu Gerüchten führen kann.» In der Öffentlichkeit sei der Anschein erweckt worden, dass Brändlin zurückgetreten sei, weil die Beschwerde der früheren Mitarbeiterin im Rat nicht ernst genommen worden sei: «Das stimmt nicht.» Die Beschwerde sei an die EKS als Arbeitgeberin gerichtet gewesen und der Rat habe diese Beschwerde von Anfang an ernst genommen und prioritär behandelt, sagt Pfister. Wichtig ist ihr, dass aber trotz allem der Hauptauftrag der EKS wahrgenommen werde: Verkündigung des Evangeliums in Wort und Tat. «Es stehen zahlreiche Arbeiten an, die nun trotz dieser ausserordentlichen Lage weitergehen müssen, und dafür stehen die nun noch fünf Exekutivmitglieder alle vereint ein.» Dies verlange angesichts begangener Fehler, vor denen niemand gefeit sei, eine Kultur der Versöhnung. Deshalb schrieb die Romanshorner Kirchenvorsteherin Regula Streckeisen in der Thurgauer Zeitung einen Leserbrief. Es dürfe nicht bagatellisiert werden, indes: «Die Art, wie berichtet wurde, erinnerte mich an die biblische Szene, als eine Ehebrecherin gesteinigt werden sollte.» Jesus habe ermahnt: «Wer von euch ohne Sünde ist, werfe den ersten Stein.» Und im Schlusssatz schreibt Streckeisen: «Damals hat dann niemand einen Stein geworfen.»

Persönliches Gespräch wäre besser
Nun aber hat der Aargauer Kirchenratspräsident Christoph Weber-Berg für die zurückgetretene Rätin Sabine Brändlin das Wort ergriffen. Aufgrund Weber-Bergs Hintergrundgesprächen mit Brändlin titelten die Blätter von CH Media: «Nun spricht die Frau, die die Vorwürfe gegen den obersten Protestanten aufzuklären half.» Darin werden Fehler auf allen Seiten eingeräumt, aber auch indirekt Schuldzuweisungen gemacht, die laut Pfister besser im persönlichen Gespräch hätten geklärt werden sollen. Die «Weltwoche» kennt die Identität der Beschwerdeführerin und legt unter dem Titel «Offene Rechnungen» die Nähe zum Zürcher Kirchenratspräsidenten Michel Müller offen, dessen kritische Haltung in einer «Blick»- Schlagzeile zusammengefasst wurde: «Lochers Wiederwahl war der grösste Fehler.»

«Nicht immer faires Geschütz»
Dass Gottfried Locher Fehler gemacht habe, will Wilfried Bührer nicht in Abrede stellen. Im Moment werde aber «nicht immer nur faires Geschütz aufgefahren». Lochers Kritiker verfolgten auch andere, kirchenpolitische Interessen. Es sei ihm als Vertreter von kleineren und mittleren EKS-Mitgliedskirchen deshalb auch wichtig, dass die EKS als starke Stimme «wieder auf die Beine kommt» und dass alle Kantonalkirchen gleichermassen berücksichtigt werden. Bührer hofft, dass es nach dem Fehlstart zu einem Durchstart kommt, nachdem die EKS erst Anfang 2020 als Nachfolgeorganisation des früheren, loseren Kirchenbundes operativ tätig wurde: «Ich wünsche mir versöhnliche Töne von allen Seiten und unbelastete tüchtige Leute, die in diese Lücke springen. Wenn ich aber nur wüsste wer! Es ist mir ein Gebetsanliegen, dass integre Leute gefunden werden. Es müsste eine Art ‹Elder Statesman› aus dem kirchlichen Umfeld sein – eventuell auch nur für eine Übergangsphase. » Bührer fühlt sich als Delegierter der Thurgauer Landeskirche in der nationalen Synode «irgendwie etwas ohnmächtig». Er spüre auch die Verunsicherung in Kirchgemeinden. Allerdings sei man im Thurgau trotz der zentralisierenden Bemühungen im Hinblick auf eine starke schweizweite reformierte Stimme immer noch sehr stark auf die eigene Gemeinde fokussiert. Deshalb: «Die Sache ist nicht eine Frage von Sein oder Nichtsein des Schweizer Protestantismus‘.»

Nachfolge völlig offen
An der nächsten Synode am 14. September soll auf alle Fälle eine unabhängige Untersuchungskommission eingesetzt werden. Bis dann kann eine externe Anwaltskanzlei allfällige Empfehlungen erarbeiten. Die Wahl von zwei neuen Ratsmitgliedern und des Präsidiums der EKS dürfte indes noch einige Zeit auf sich warten lassen. Trotzdem werden hinter vorgehaltener Hand schon Namen für die Nachfolge im Präsidium herumgereicht: Darunter Christoph Weber- Berg, Michel Müller, das aktuelle Ratsmitglied Ulrich Knoepfel oder die weltweit vernetzte Thurgauer Theologin und ehemalige Geschäftsführerin des Deutschen Kirchentages, Christina Aus der Au.


Mehr zur EKS-Krise erfahren Sie hier.


(Roman Salzmann)

Unsere Empfehlungen

Glücklich ist, wer freiwillig arbeitet

Glücklich ist, wer freiwillig arbeitet

Das Priestertum aller Gläubigen bekommt neuen Schwung: Mehrere Kantonalkirchen haben sich zusammengetan, um die Freiwilligenarbeit gemeinsam zu stärken. Dafür haben sie einen neuen Leitfaden herausgegeben.
22 Minuten und ein Halleluja

22 Minuten und ein Halleluja

Mitte Mai waren die Mitglieder der Regierung und des Parlaments zur Besinnung eingeladen. Der abtretende Kirchenratspräsident Wilfried Bührer motivierte zur Freude und Zuversicht. Was steckt hinter dem Grossratsgottesdienst?