«Wasser und Brot nach Gusto dazu»
Schweizer Auswanderer erkennt man meist daran, dass sie in Mailand, Berlin oder Marseille noch in der dritten Generation gerne «Gschwellti» essen oder «Hörnli mit Ghacktem». Von der Bratwurst ganz zu schweigen. Aus Sargans ist jüngst ein Bäcker nach Singapur ausgewandert, um dort den Bedarf helvetischer Expats zu decken. Sein Geschäft boomt.
Sigmund Freud nannte daher den Hunger einen Trieb. Er will befriedigt werden. Soll sagen, der Akt des Essens nährt sich von jener schönen Spannung, die idealerweise nach dem Lustprinzip aufgelöst wird. Darum macht Essen Spass. Vor allem, wenn es eins geht mit dem eigenen Sein. Wenn es ein Stück gefühlte Heimat ist, schmackhafte Identität, Freiheit in der Fremde.
In die Suppe spucken?
Und genau darum scheint das Thema Essen im Gefängnis besonders delikat zu sein. Stellt es doch einen der wenigen Momente fürs Ausleben des Lustprinzips dar, in diesem streng durchregulierten Alltag. Doch Essen ist ziemlich persönlich. Hier lässt sich niemand gerne in die Suppe spucken. Wehe also, jemand nimmt nur schon den Stammplatz eines anderen ein und setzt sich ungefragt zu einer bestimmten Kollegengruppe. Schnell kommt es dann mal zu Schlägereien. In den Kantinen gehobener Unternehmen unterdrückt man solchen Ärger zwar kultivierter, doch der Missmut ist derselbe, wenn einer falsch hockt.
Im Kleinen Rücksicht nehmen
Noch viel wichtiger ist aber das, was auf den Teller kommt. Die Menge zum Beispiel, darüber wollen auch Insassen selbst entscheiden. Erfahrene Gefängnisköche wissen das und nehmen Rücksicht, schon wegen der zweiten Tageshälfte, die dann einfach entspannter wird. Nur Wasser und Brot wären da wenig hilfreich. Marco S.*, Küchenchef im offenen Vollzug des hiesigen Konkordats, hat dabei auch die Bedürfnisse von Ausländern im Blick, die oft weit mehr als die Hälfte der Insassen stellen.
Essen sei Teil der Identität, sagt er, und diese sei im Strafvollzug naturgemäss schwer auf die Probe gestellt. Mit beruflichen Leistungen, strahlender Familienidylle oder üppigem Reichtum kann hier niemand glänzen. Also sollte man im Kleinen Rücksicht nehmen und Freiheiten nutzen. «Ich wünsche mir draussen als Erstes ein Entrecote mit Rotwein», erklärt ein einheimischer Insasse. Ja, die Insignien der Herkunft nur schon zu spüren, kann hier drinnen labend sein.
Im Ramadan eine Sonderlösung
Entrecôte gibts natürlich nicht, vor allem des Budgets wegen, das mit rund sieben Franken pro Tag eher knapp bemessen ist. Doch im Prinzip ist das Servierte tadellos. Meistens Fleisch oder freitags auch mal Fisch, dazu ein Gemüse und eine Sättigungsbeilage wie Polenta, Pasta oder «Herdöpfel». Bodenständig gekocht. Wasser und Brot gibts nach Gusto dazu. Für Muslime liegt immer eine Alternative zum Schweinefleisch auf. Jenes kommt ohnehin nur ein- bis zweimal pro Woche auf den Tisch, sagt Marco S. Sonst setzt er auf Rind oder Poulet, so braucht er nicht zweimal zu kochen. Ein Problem, das sich jedoch kaum aus der Welt schaffen liesse, sei der ewige Verdacht einiger Araber, ihnen würde trotzdem Schwein untergejubelt. «Darum setzen wir immer auf zweierlei Optik», sagt er und beschäftigt auch Muslime in seinem Team. So gibts Klarheit, selbst wenn es nicht alle glauben. Im Ramadan gibts eine Sonderlösung. Die, die tagsüber fasten, dürfen sich abends in der Mikrowelle selbst etwas aufwärmen.
Platz für Persönliches
Wer vegetarisch essen mag, sei es aus religiösen oder sonstigen Gründen, darf das. Er muss sich aber festlegen. Und natürlich gibt es Kost, die ärztlich verordnet ist. Auch hinter Gittern leben Menschen, die laktosefrei essen müssen, Schonkost brauchen oder Diabetiker sind. Eine Herausforderung für die Küchencrew, die ausser dem Chef ganz aus Insassen besteht.
Es werden, wenn möglich, sogar persönliche Wünsche berücksichtigt wie etwa mehr Käse, kein Mais oder weniger Sauce. Pizzen werden variabel belegt, so hat es für jeden etwas. Und Nachfassen geht immer, so viel Freiheit muss sein. Diese Zeichen des Respekts sind ein hoher Wert im Freiheitsentzug. Den Beweis liefert das gelegentliche Eintreffen von Fresspaketen. Dann sind Jauchzer im Zellentrakt zu hören
wie bei einem Auslandschweizer, der unverhofft ein Rollschinkli im Briefkasten findet.
*Name geändert
Text: Reinhold Meier | Foto: meka, Kirchenbote SG, Februar 2016
«Wasser und Brot nach Gusto dazu»