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«Die Welt ist grösser als die Naturwissenschaften wahrnehmen»

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06.01.2021
Hat die Astrophysik Gott überflüssig gemacht? Nein, meint der Astrophysiker Arnold Benz. Der ETH-Professor plädiert für eine Versöhnung von Urknall und Schöpfung.

Arnold Benz, am 6. Januar feiert die christliche Welt die Heiligen Drei Könige. Die Sterndeuter folgten dem Stern bis zur Krippe in Bethlehem. Was bedeutet für Sie diese Geschichte?
Ich finde es eine Superstory, die erzählt, wie die drei Gelehrten genau das Gegenteil finden von dem, was sie vorausgesagt hatten: Das Kind in einer Futterkrippe mit armen, unverheirateten Eltern in einem unhygienischen Viehstall. Statt wissenschaftlichobjektiv zu sein, lassen sie sich jedoch emotionell ansprechen und erkenne nso die Bedeutung des Kindes. Ich schreibe jedes Jahr eine neue Nacherzählung der Geschichte für den Hausgebrauch.

Gibt es in Ihrem Leben einen Stern, dem Sie folgen?
Ja, die Fragen, wie es kommt, dass ich hier bin, und wie Erde und Universum entstanden, sind wie ein Leitstern für mich.

Die Jahreswende ist üblicherweise die hohe Zeit der Astrologie. Was halten Sie davon?
Ehrlich gesagt nicht viel. Sofern sie nicht kommerziell ist, sehe ich in der Astrologie den Versuch, sich im Universum zu orientieren und Verschiedenes miteinander in Beziehung zu bringen. Doch verstehe ich das Weltbild der Astrologie nicht.

Die Astrophysik kommt der Nullstunde des Kosmos immer näher. Wo haben ob all dieser Erkenntnisse Glaube, Schöpfung und Gott noch einen Platz?
Andere Frage: Wo hat Kunst, Trauer, Liebe und Ethik noch einen Platz? Man kann sie weder messen noch berechnen. Sie alle haben mit dem menschlichen Bewusstsein zu tun. Sobald ein Mensch an der Wahrnehmung teilnimmt, wird sie von der Naturwissenschaft als subjektiv ausgeschlossen. Gott zeigt sich in den Erfahrungen unseres Lebens, wo er noch viel Platz hat. Die Welt ist grösser als die Naturwissenschaften wahrnehmen.

Eine Ihrer Thesen, die sich als Brückenschlag zwischen Schöpfungsglaube und physikalischer Kosmologie versteht, lautet: «Wer von Gott reden will, muss es mit menschlichen Erfahrungen verbinden. Gott als Hypothese zur Erklärung des Naturphänomens ist nicht beweisbar und unnötig.» Weshalb darf Ihrer Meinung nach Gott nicht als Beweisgrundlage für Naturphänomene beigezogen werden?
Wenn wir Gott in unserem Leben als gütig und überwältigend erfahren, öffnen sich unsere Augen für seine Spuren im Universum. Sie sind jedoch nicht von der Art, dass man daraus Gott berechnen könnte etwa so wie die Winkelsumme im Dreieck. Es würde schlecht passen zu einem Gott, der von sich sagte: «Ich bin, der ich bin.»

Was vor dem Urknall war, wissen die Astrophysiker nicht. Hat doch Gott das Universum geschaffen? Oder anders gefragt: Welche Daseinsberechtigung hat Ihrer Meinung nach die Schöpfungsgeschichte nach Genesis?
Sonne, Mond, Erde und das meiste im Universum sind nicht im Urknall entstanden. Die Geschichte des Universums ist eine faszinierende Abfolge von Vorgängen, durch die lebensnotwendige Strukturen aus Chaos gewachsen sind. Das trifft sich mit den Worten in Genesis 1, dass die Schöpfung «gut» war. Mit «gut» ist gemeint, das Universum sei geordnet und wunderbar funktionell. Besonders schön finde ich den Gedanken, dass zum Schluss ein Tag der Ruhe und des Friedens folgt. Damit wird dem Kosmos ein Ziel zugeordnet, das weit über die Astrophysik hinausreicht.

Ihre Frau, Ruth Wiesenberg Benz, ist Pfarrerin. Wie bringen Sie die Spannungsfelder Astrophysik und Glaube auf einen harmonischen Nenner? Muss man sich Ihre Ehe als ständiges Streitgespräch vorstellen?
Nein, wir streiten nicht. Im Gegenteil, wir haben uns – beide verwitwet– gegenseitig angezogen. Ich habe mich schon vor unserer Heirat mit Theologie befasst. Meine Frau ist mir im Staunen über das Universum weit voraus, obwohl oder weil sie Laie in Astrophysik ist. So ergänzen wir unsgegenseitig und konnten das neue, gemeinsame Buch zusammenstellen.

In Ihrem neuesten Buch «Das Universum – Wissen und Staunen» bringen Sie Naturwissenschaft und Theologie, Astrophysik und Glaubensfragen zusammen. Was war Ihr Anliegen?
Zu meinen Vorträgen kommen die meisten Leute, um zu staunen. Dazu braucht es ein Minimum an Wissensvermittlung sowie Anregungen zum Nachdenken. Meine Frau hat mir daher vorgeschlagen, statt mit einem neuen Buch bei der Astrophysik und Theologie wieder von vorne anzufangen, Zitate aus meinen Schriften und Notizbüchern auszuwählen, die ohne Kontext verständlich sind, und sie vielen schönen Bildern aus dem Universum gegenüberzustellen.

Angenommen Sie dürften Gott drei Fragen stellen, was er sich bei der Schöpfung des Universums überlegt hat. Was wären dies für Fragen?
Ich möchte gerne wissen, ob es andere intelligente Lebewesen im Universum gibt und wenn ja: wo? Als zweites würde mich brennend interessieren, wie es kommt, dass die Vorgänge im Universum so fein abgestimmt sind, sodass es sich bis zur Entstehung des menschlichen Bewusstseins entwickeln konnte. Die abschliessende Frage wäre, wie weit das Universum jenseits des für unssichtbaren Teils geht. Unser Beobachtungsraum ist durch die endliche Lichtgeschwindigkeit beschränkt und enthält eine Billion Galaxien mit je rund hundert Milliarden Sternen. Aber es könnte noch viel weiter entfernte Galaxien geben, die uns für immer verborgen sind.

Haben Sie einen persönlichen Lieblingsplatz, um den Sternenhimmel zu beobachten?
Ich würde den Sternenhimmel am liebsten auf dem Titan beobachten, dem grössten Mond des Planeten Saturn. Da gibt es zackige, hohe Berge aus Wassereis und Seen aus Methan. Der Himmel ist allerdings etwas getrübt vom Dunst aus Tholin-Aerosolen. Es ist auch recht kalt auf der Oberfläche mit minus 180 Grad.

In welchen Momenten fühlen Sie sich inmitten des Universums besonders klein?
Immer dann, wenn ich mir vor Augen führe, wie wenig wir immer noch vom Universum verstehen.

Interview: Rosalie Manser, Pfarreiforum, und Tilmann Zuber, kirchenbote-online

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