Denkpause: Klang des Herzens
Manches Mal entdecke ich kleine Kostbarkeiten, wenn ich beim Lesen gar nichts Besonderes oder auch unbedingt etwas ganz Bestimmtes suche. Ganz nebenbei stosse ich auf einen geistreichen Gedankenanstoss oder auf einen spannenden Menschen, der sich auf eine besondere Weise mit dem Leben und dem Glauben auseinandersetzt.
Dieses Jahr war es ein berühmter Geigenbauer. In seinem Atelier finden sich nicht nur Geschäftsräume und die Werkstatt, sondern im Dachstock auch ein Klangraum und auf einer Art Heubühne darüber ein kleiner Andachtsort, der im Dachgebälk thront. Der Geigenbauer Martin Schleske verbindet hier Handwerk und Gebet.
Das Geigenbauen versteht er als ein Gleichnis, für das er viele Analogien im Leben und im Glauben findet. An diesem Andachtsort entstehen biblische Betrachtungen und poetische Texte.
Spannend sind zum Beispiel seine Erläuterungen zum Wort »Person«. Das Wort Person bedeutet von seiner Herkunft her eigentlich hindurchtönen. Eine Person zeichnet sich also dadurch aus, dass etwas in ihr zum Klingen kommt und auch, dass Klang in ihrem Innern entsteht. Erst durch das Eins-Werden von Geigenbauer und Musiker entstehe ein Klang, und das sei ein Gleichnis für die Verbindung von Gott und den Menschen, aus deren Zusammenspiel der Klang entsteht, der das Geschöpf zur Person werden lässt.
Was in mir klingt und durch mich hindurchklingt, hat also etwas mit dem zu tun, wer ich als Mensch bin. Wer ich als Geschöpf bin. Ob es nun das Schlaflied meiner Eltern, das Violinkonzert von Beethoven oder das Geigenspiel von Fionnuala von Secret Garden ist: Es sind die Klänge mit denen wir aufwachsen, und es sind die Worte und Lieder, die uns begleiten, die uns zu dem haben werden lassen, was wir heute sind. Die uns zu einer Person haben werden lassen, die ihrerseits mit der Stimme und der Stimmung ausdrückt, was in ihr anklingt und die weitergibt, was in ihr aufsteigt: ein freundliches Wort, ein Liebeslied, ein zärtliches Flüstern, ein beruhigendes Summen, ein fröhliches Rufen oder ein Danklied an den Schöpfer.
Dazu fällt mir eine Besonderheit des alttestamentlich-jüdischen Menschenbildes ein. Da wohnt die Seele nicht im Herz oder im Kopf, sondern – in der Kehle. Seele und Kehle werden mit dem gleichen Wort benannt. Zwischen beiden besteht eine enge Verbindung. Eine überraschende und bereichernde Vorstellung. Da, wo ich atme und brumme und singe und seufze, und da, wo ich (Lebens-)Durst verspüre, da in der Kehle sitzt unsere Stimme, unser Klang, unser Verlangen. Da sind wir ganz bei uns, sind wir ganz Person.
Wo wir diese Töne aus unserem Inneren, diese Herztöne, miteinander teilen, kann zwischen uns etwas Schönes und Heilsames entstehen. Und da kann sich uns auch ein Zugang zum Gebet erschliessen. So beschreibt es Schleske: »Musik ist letztlich in Klang gegossenes Gebet«. (M. Schleske, Herztöne, S. 43)
Martina Hausheer-Kaufmann, reformierte Pfarrerin in Niederurnen
Denkpause Südostschweiz für den 19. Juli 2025
Denkpause: Klang des Herzens