Denkpause zum dritten Advent
Eine ungewöhnliche Geschichte, damals wie heute. Die Geburt des Messias – in solchen Verhältnissen? Maria, die damals zwischen 12 und 16 Jahre alt war und wenn man an den Beruf ihres Verlobten denkt, aus einfachen Verhältnissen stammte, als die Mutter des Gesalbten, des erhofften Retters? Sollte der Messias ausgerechnet in dieser einfachen und ärmlichen Umgebung zur Welt kommen? Von einem jungen unerfahreneren Mädchen geboren? Eltern haben, die keine besondere religiöse Ausbildung genossen haben, weder dem Priestergeschlecht noch dem Stand der Rabbiner, der jüdischen Schriftgelehrten, angehörten?
Und löst nicht auch die Reaktion Marias auf die Engelbotschaft Fragen aus: Ist es glaubwürdig, dass ein junges Mädchen in einer solchen Situation einfach „Ja“ zu einem Kind sagt? Hätte Maria nicht damit rechnen müssen, von ihrer sozialen Umgebung ausgestossen zu werden, weil sei ein uneheliches Kind zur Welt bringt? Hätte sie nicht befürchten müssen, dass sie der Mann, den sie liebt, sofort verlässt? Hätte sie nicht gar davon ausgehen müssen, dass sie ohne Arbeit, Ohne Sozialversicherung, ohne alles samt Kind im sozialen Abgrund landet?
Und trotzdem sagt sie mit einer ungeahnten Selbstverständlichkeit: «Mir geschehe wie du es gesagt hast. Maria spürt offensichtlich, dass Gott gar keine besondere Mutter für seinen Sohn will. Er will offenbar keine besonders mächtige, keine besonders religiöse, keine besonders weise und erfahrene, keine besonders einflussreiche Frau. Er will ganz bewusst dieses einfache junge Mädchen aus Nazareth. Eine Frau, die aus besonderen Verhältnissen stammt oder mit besonderen Fähigkeiten ausgestattet sind, hätten wir von uns wegschieben und sagen können: “Was diese getan hat, hat sie nur ihrer besonderen Verhältnisse, ihrer besonderen Begabungen wegen tun können.“
Aber genau das können wir bei Maria nicht sagen. Sie ist ein einfacher Mensch wie wir. Sie fordert dadurch gerade zur Identifikation hinaus. Schlussendlich stehen auch wir vor der Entscheidung „Ja“ zu diesem Kind zu sagen und mit Maria zu sprechen. Trotz aller Schwierigkeiten, die sich um diese Entscheidung ranken, hat Maria tief in sich gespürt: so und nicht anders.
Alles in ihr hat sich so sehr für dieses Kind entschieden, dass sie in diesem Moment wahrscheinlich nichts auf dieser Welt sie von dieser Entscheidung hätte abbringen können. Sie spürt ganz tief in ihrem Herzen Gott. Sie spürt sozusagen den Himmel im eigenen Leib, den Himmel, der sie nicht mehr loslässt, der sie so erfüllt, dass sie gar nicht mehr anders kann als JA zu sagen. Maria ist nicht einfach nur schwanger mit einem Kind. Damit wäre die Erzählung des Lukas zu oberflächlich verstanden.
Maria ist schwanger mit einer Hoffnung. Sie ist schwanger vom Geist der Liebe mit dem Himmel auf Erden.
Sie spürt, dass Gott in ihr Leben einbricht und das lässt sie alle Angst vergessen. Maria lädt uns ein, sich mit ihr zu identifizieren. Dass auch wir mit dem Himmel schwanger werden.
Jesus, um den es ja hier letztlich geht, will eben in uns Menschen immer wieder neu geboren werden. Seine Liebe und seine Hoffnung, seine Freiheit und seine Gerechtigkeit sollen in uns lebendig werden, strampeln wie ein wachsendes Kind im Mutterleib, und voll werden mit Freude, die aus dem Himmel wächst.
Von Dagmar Doll, Pfarrerin in Glarus-Riedern (Denkpause publiziert am 14.12.2024 in den Glarner Nachrichten)
Bild: Der siebenjährige Moritz hat die junge Maria gezeichnet, welche sich für den Himmel öffnet.
Denkpause zum dritten Advent