Denkpause zum ErnteDankFest
Von Pfarrerin Almut Neumann
Wer sich selbst ein wenig beobachtet, der weiss, dass man sich nicht am Erntedankfest hinstellt, um mal wieder dankbar zu sein. Es ist völlig anders: Waren wir nicht auch einmal überwältigt und voller Dankbarkeit wie jener greiser Mann, der bei einem Stück Brot in der Hand in Tränen ausbrach - ihm fielen die Jahre ein, in denen er vor Hunger nicht schlafen konnte. Oder gingen wir nicht vor dem Anblick an einem klaren Septembertag auf einem Berggipfel in die Knie - im Bewusstsein des alten Psalmwortes: „Gott, wie sind deine Werke so gross“.
Und wie gross ist der Dank, wenn eine schwere Krankheit überwunden ist.
Doch dürfen wir dafür dankbar sein? Ganz gewiss, denn wir können nicht zu jeder Stunde die ganze Weite allen Elends in der Welt und vor Ort überblicken. Nur Gott vermag alle Tränen und jedes Lachen, alle Hinrichtungen und jedes Freudenfest, Habgier und alle Freigebigkeit zusammenzuschauen; wir können das nicht.
So können wir wieder aufatmen, mit Freude leben und unsere Aufgaben tun, zu denen wir berufen sind.
Lobe und Danke den Herrn, meine Seele, und vergiss nicht, was er dir Gutes getan hat.
(Psalm 103, 2): Dieser Psalmvers lässt uns ein Hochgefühl erleben, das uns zum Danken führt, gerade an so einem Tag, wie dem Erntedankfest. Wie oft nehmen wir alles als normal an; vergessen den Geber über die Gaben. Jetzt aber ist Gelegenheit, Danke zu sagen; einfach, weil wir es so meinen: Danke, mein Gott.
Das führt uns dieses einfache Bild vor Augen: wir wären ohne die anderen einsam und verloren. So ist fast alles ohne die anderen nichts. Was wäre der Sonnenuntergang in den Bergen, wenn wir nicht jemandem an unserer Seite sagen könnten: Ist das nicht schön!!
Was nützte das Korn, gäbe es nicht andere, die es mahlen und zu Brot verbacken, die es uns verkaufen. Was wäre dies Leben ohne das Lachen der Kinder, ohne all die Zärtlichkei- ten, ohne das aufmunternde Wort: „Na, komm, das wird schon – wir sind ja auch noch da.“ Danke, mein Gott, für all die Anderen.
Und da ist der Dank für alle Nahrung; der Dank dafür, dass wir nicht hungern müssen. Wir vergessen oft, dass dies in Europa auch erst seit höchstens 70 Jahren für die Meisten - immer noch nicht für alle - selbstverständlich geworden ist. Und dann leben wir auch von jener «anderen» Nahrung - wir leben von Musik; von Reisen, von einer schönen Photographie, die uns nicht loslässt mit ihren Farben; leben von einer ungelenken Zeichnung eines Kindes, die ein lachendes Männchen zeigt, und uns in die Hand gedrückt wird: „Für dich.“
Danke, mein Gott, für Essen und Trinken und für all das, was unsere Seele nährt.
Und da ist der Dank für alle Kraft: Kraft, die uns die Enttäuschungen im Beruf wegstecken half... Kraft, die uns aufrecht hielt, als es hiess: „Es ist aus.“ Kraft, die uns weggehen liess vom Rand des Grabes, in das sie gerade den gelegt hatten, der uns das Liebste war.
Nein, vieles war bitter und schwer, nicht alle Gottes Gaben waren gut. Aber die Kraft, das zu überstehen, das war auch Seine Gabe. Danke, mein Gott für die geschenkte Kraft. Wir wissen: Einmal wird alles zu Ende sein: das Kinderlachen, der Glanz der Sonne auf unserem Gesicht, jeder kostbare Augenblick des Glücks, unser eigenes Leben. Doch dürfen wir hoffen, dass unser Leben in Gottes Ewigkeit geborgen ist. Danke, Gott, für deine Ewigkeit.
Ich wünsche uns, dass wir immer wieder Grund haben zum Danken. Ihre Almut Neumann
Denkpause zum ErnteDankFest