News von der Glarner reformierten Landeskirche

Dieser Befreiungsstoss sitzt tief

von Sonja Pilman
min
19.05.2025
Tatort Bibel: Kann ein Tyrannenmord gerechtfertigt sein? Wenn Gott es gutheisst, wie könnte man dann widersprechen? In der Geschichte im dritten Kapitel des Richterbuchs wird spöttisch beschrieben, wie König Eglon durch den Helden Ehud stirbt. Und man fragt sich, ob man sogar lachen darf.

«Er hat sich vollgekackt!» Lachend sassen ein Pfarrer und seine Konfklasse vor ihren Bibeln, aufgeschlagen beim Richterbuch im 3. Kapitel. Eine Pfarrkollegin erzählte mir davon, wie ihr Mann, eben dieser Pfarrer, im Konfunterricht den Text über König Eglon behandelte. Seine Motivation, um den Text mit den Jugendlichen zu lesen, sei Humor gewesen. Er wollte ihnen zeigen: «Seht ihr, so etwas steht auch in der Bibel!»

Ehud ist der Auserwählte

Im dritten Kapitel des Richterbuchs wird ein Attentat auf einen Tyrannen beschrieben. Dieser soll nicht nur sterben, sein Tod soll auch lächerlich sein. Es geht um Eglon, den König von Moab, den Gott stark gemacht hat gegen die Israeliten, weil sie sündigten, also taten, was Gott missfiel. Unter Eglon mussten die Israeliten 18 Jahre dienen. Dann bitten sie Gott um Erlösung von König Eglon und der Knechtschaft unter ihm. Gott erhört sie und erweckt einen Retter: Ehud. Die Errettung kommt in Form eines Attentats, zu dem Ehud besonders befähigt ist, weil er linkshändig ist. An der rechten Hand hingegen hat er eine Beeinträchtigung, weshalb man meinen könnte, dass er nicht der ideale Kämpfer für diesen Auftrag gegen König Eglon sei. Ehud ist als Linkshänder aber unberechenbarer und wirkt für den König weniger bedrohlich.

Volk leidet unter der Gier

Die Israeliten senden Ehud zu König Eglon, um den Tribut, die Gabe des Volkes an den König, zu bringen. So würde Ehud in die Nähe von Eglon gelangen. Er fertigt sich einen zweischneidigen Dolch, der so lange ist wie eine Hand. Er versteckt ihn unter seinem Gewand und macht sich auf zu König Eglon. Ehud bringt die Gabe und steht nun vor dem König. Der Bibeltext beschreibt ihn – wir sehen ihn durch Ehuds Augen – als sehr fetten Mann. Die Beschreibung lässt erahnen, dass Eglon adipös ist, er ist gefrässig und wirkt besonders gierig. Unter dieser Gier litt das Volk. Ehud bringt die Gabe jetzt zum letzten Mal.

+++ König erdolcht +++

Am Abend wurde König Eglon von seinen Dienern tot in seinem Obergemach gefunden. Nach genauerer Untersuchung wurde ein zweischneidiger Dolch in König Eglons Bauch gefunden.

Der Tatverdächtige ist Ehud, Richter Israels, der von den Bediensteten zuletzt gesehen wurde, als er sich mit dem König zurückzog, um etwas Geheimes zu besprechen. Ehud war von Gott erweckt worden als Erretter des Volk Israels. Der Tatverdächtige Ehud ist entkommen und wurde auf dem Gebirge Efraim gesichtet, wie er das Widderhorn blies.

Die Israeliten zogen mit ihm und erschlugen etwa zehntausend Moabiter. Seit da muss sich Moab Israel beugen. Es wird von 80 Jahren Ruhe ausgegangen.

Bibeltext zum Nachlesen (Richter 3,12-30).

 

Ein spöttisches Ende

Durch eine List schafft es Ehud, dass der König und er allein sind. Sie befinden sich im Obergemach, das eigentlich nur für den König bestimmt ist. Dieses Obergemach ist das stille Örtchen und der Thron ist die Toilette des Königs. Es hätte nicht besser laufen können. Und hier können wir zum ersten Mal schmunzeln: Der gierige und mächtige König Eglon sitzt auf der Toilette. Jetzt wirkt er nicht mehr so gefährlich. Eglon meint, er sei unverwundbar, aber stattdessen könnte er menschlicher nicht sein. Er steht auf und nun kommt Ehuds Chance. Ehud greift unter sein Gewand nach dem Dolch und stösst ihn Eglon in den Bauch. Der fette Bauch verschlingt den Dolch förmlich.

Ekel und Belustigung

Es wird genüsslich beschrieben, wie «nach der Schneide des Dolchs sogar noch der Griff hineinfuhr und das Fett die Schneide umschloss, denn er zog den Dolch nicht aus seinem Bauch heraus; und heraus kam sein Dreck.» Man kann es sich bildlich vorstellen. Ekel mischt sich mit Belustigung über die Beschreibung und Demütigung im Tod dieses Tyrannen. Diese Beschreibung findet sich in Ri 3,22.

Unrat, Dreck oder Schlupfloch

Erstaunlicherweise wird der Nebensatz «heraus kam sein Dreck», also «heraus kam sein Unrat», auf verschiedene Arten übersetzt. So steht beispielsweise in der Zürcher Bibelübersetzung: «und er ging hinaus durch ein Schlupfloch». Weil das hebräische Wort für Unrat nur ein einziges Mal vorkommt, gibt es verschiedene Möglichkeiten, diesen Nebensatz zu übersetzen. In der King James Bible, die der besagte Pfarrer mit den Jugendlichen gelesen hat, wird der Unrat als «Dreck» übersetzt. Aber welches ist die richtige Übersetzung? Vielleicht die, welche Eglon am meisten demütigt? Darüber hinaus stellen sich weitere Fragen: Darf über den Tod Eglons gelacht werden? Ist das Attentat auf ihn richtig und soll er gedemütigt werden? Feststeht: Gott ist der Handelnde in diesem Geschehen, der Ehud beruft und das Volk befreit. Ja, so etwas steht auch in der Bibel.

«Lernort» Tatort

Die Frage nach der Legitimität eines Attentats auf einen Tyrannen wurde auch von Dietrich Bonhoeffer gestellt. In der von ihm verfassten Ethik schreibt er: Wenn sich ein Tyrann wie Hitler als Bedrohung des von Gott geschaffenen Lebens erweist, ist es dann nicht eine grössere Schuld, wenn man sich heraushält, als wenn man handelt? Wenn Eglon die Hosen buchstäblich voll hat, dann lernen wir, dass Tyrannen nicht unumstösslich sind. Gott kann ihnen alles wegnehmen. Es ist in Gottes Händen, ob wir erhört werden, wenn wir schreien, aber Angst brauchen wir nicht zu haben.

 

 

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