glauben im alltag: Sonntagsschule
Es war Mitte der Fünfzigerjahre. Ich freute mich riesig, jeden Sonntag aufs Neue, zusammen mit meinen Geschwistern, in die Sonntagschule gehen zu dürfen. Mir ist, als sei es gestern gewesen, als unsere Mutter uns mit mahnenden Worten, uns anständig zu benehmen, in die Sonntagschule schickte. Ob aus religiösen Gründen oder einfach, um von uns vier Geschwistern ein wenig Ruhe und Erholung haben zu können, weiss ich nicht. Ich meinerseits ging jeden Sonntag mit Begeisterung dorthin.
Etwas scheu und ängstlich betraten wir den grossen Kirchenhaussaal, wo uns Sonntagschul-Tanten mit viel Liebe, Herzlichkeit und Wärme begrüssten. Zuerst durften wir mit den mitgebrachten 20-erli das Kässeli füttern, auf welchem ein afrikanisches Kind dankend mit dem Kopf nickte und für die armen Kinder in Afrika die Münze entgegennahm. Das Lied «Gott ist die Liebe», mit dem Harmonium begleitet, ist bis heute in meinem Kopf gespeichert. Dann freute ich mich jeweils auf die spannenden Geschichten: Daniel in der Löwengrube. Josef, der von den Brüdern verkauft wurde. Oder David und Goliath. Auch die vielen tollen Geschichten, in denen Jesus Wunder tat, haben mich fasziniert. Sie haben mich zum einen persönlich betroffen und nachdenklich, aber auch glücklich über einen grossen und gütigen Gott gemacht.
Weihnachtsfeier mit Mandrinli
Ich erinnere mich an die Weihnachtsfeiern mit echten Kerzen am riesigen, geschmückten Tannenbaum. Obwohl wir Mandarinen wir nur vom Hörensagen kannten, liebte ich den Duft dieser orangen Früchte, in denen ebenfalls eine brennende Kerze steckte. Oder auch an die mit viel Liebe ausgesuchten, meist nützlichen Geschenkli, die wir mit strahlenden Augen nach der Feier dankbar entgegennehmen durften, lebten wir zu Hause doch in eher bescheidenen Verhältnissen.
Sehr gerne schaue ich mit meinen 80 Jahren auf die Sonntagschulzeit zurück und ich bin meiner Mutter unendlich dankbar, dass sie uns, aus welchen Gründen auch immer, in die Sonntagsschule schickte. Ich bin überzeugt, dass dies in meinem Leben der Grundstein und die Grundlage meines Glaubens an Gott, den Vater und Jesus Christus werden durfte.
Ursprung in England
Leider ist heute die Sonntagschule in unseren Kirchgemeinden fast ausgestorben und nur noch möglich dank des grossen Einsatzes und der Freude von Menschen, die in kleinen Dörfern in Treue die Sonntagschule, Kinderlehr- und Jugendgottesdienste weiterleben lassen. Dies ganz nach dem Vorbild aus England, wo einst diese Arbeit ihren Anfang nahm und wo benachteilige und verwahrloste Kinder in Elendsvierteln anhand von Geschichten aus der Bibel im Lesen und Schreiben unterrichtet wurden. Es stimmt mich froh, dass die Güte unseres Gottes auch heute noch aktiv ist und ihm keine Grenzen gesetzt sind.
Annegreth Häuptli, Netstal
glauben im alltag: Sonntagsschule