News von der Glarner reformierten Landeskirche
Spiritual Care

Seelsorge und Kirche können zur Gesundheit beitragen

von Carole Bolliger
min
10.09.2025
Die Krise des Gesundheitssystems ist allgegenwärtig – steigende Kosten, überlastete Institutionen, wachsende Erwartungen an medizinische Perfektion. Isabelle Noth, eine der führenden Expertinnen für Spiritual Care, über Seelsorge und erfülltes Leben. 

«Gesundheit bedeutet nicht einfach, fit und funktionstüchtig zu sein. Sie heisst, mit den unvermeidlichen Beeinträchtigungen des Lebens in einer lebensförderlichen Weise umgehen zu können», sagt Isabelle Noth. Die Professorin für praktische Theologie zitiert den Arzt und Theologen Dietrich Rössler: «Gesundheit ist nicht die Abwesenheit von Störungen, Gesundheit ist die Kraft, mit ihnen zu leben.»

Gesundheitsseelsorge will das Wissen um die Bedeutung von Religiosität, Spiritualität und Sinnfragen im Leben stärken.

Für Noth ist Seelsorge dabei weit mehr als nur ein Angebot in Spitälern oder Heimen. Seelsorge sei Lebens- und nicht nur Krankenbegleitung. «Seelsorge und Gesundheit haben viel mehr miteinander zu tun, als lange wahrgenommen wurde. Seelsorge hilft, den eigenen Umgang mit Belastungen zu reflektieren, und erkennt, dass oft gerade Menschen, die gesellschaftlich als ‹krank› gelten, eine besondere Stärke entwickeln.» Diese Haltung sei gerade heute wichtig, in einer Gesellschaft, die stark auf Körperoptimierung und ewige Jugend fixiert sei. «Wer schwach ist oder alt wird, gerät schnell unter Rechtfertigungsdruck. Gesundheitsseelsorge erinnert daran, dass Gebrechlichkeit und die zeitliche Begrenztheit unseres Lebens dazugehören – und dass ein erfülltes Leben nicht aus Fitness und Funktionsfähigkeit besteht.» Gesundheitsseelsorge ist gesundheitssensible Seelsorge. Sie legt den Fokus auf gesundheitsbezogene Themen und Fragestellungen. Noth erklärt: «Gesundheitsseelsorge will das Wissen um die Bedeutung von Religiosität, Spiritualität und Sinnfragen im Leben stärken.»

Seelsorge auch im Lebensalltag

Die Präsidentin des ökumenischen Ausbildungsprogramms für Seelsorge und Spiritual Care an der Universität Bern will das Thema aus den Institutionen herausholen und in den Alltag tragen. «Spitalseelsorge ist nur ein Teil von Gesundheitsseelsorge. Letztere setzt im Lebensalltag an. Auch wer nicht krank ist, stellt sich immer wieder Fragen nach Sinn, Belastbarkeit und dem guten Umgang mit Grenzen.» Erste Projekte dazu sind bereits in Planung – federführend will die Luzerner Landeskirche hier neue Wege gehen.

Versöhnung kann gesünder machen als jede Medizin.

Dass Seelsorge wirkt, zeigen aktuelle Erhebungen: Noth und ihr Team stellten fest, dass Seelsorgende selbst überdurchschnittlich zufrieden und stabil sind. «Offensichtlich ist es eine sinnerfüllende Tätigkeit, die nicht nur jene stärkt, die sie suchen, sondern auch jene, die sie ausüben.» Gleichzeitig sieht sie Nachholbedarf: «Obwohl Seelsorge zu den gesellschaftlich anerkanntesten Tätigkeiten der Kirche zählt, wird sie in vielen Pfarrämtern aufgrund der hohen sonstigen Belastungen nur nebenbei ausgeübt.»

Sprung ins kalte Wasser

Und warum sollte man überhaupt einmal eine Seelsorgerin aufsuchen? Noth antwortet: «Es lohnt sich schon nur, weil es eine neue Erfahrung ist. Viele sind überrascht, wie tief sie sich verstanden fühlen und wie sehr das ihr Bild von Kirche verändert.» Eine Bekannte erzählte ihr kürzlich, wie erstaunt ihr Partner nach dem Tod seines Bruders über das Gespräch mit einem Seelsorger war: «Er fühlte sich zum ersten Mal seit langem wirklich gesehen. Das hat sein Bild von der Kirche komplett verändert.»

Dass Noth das Thema auch lebt, zeigt eine Anekdote: «Ich schwimme regelmässig im Thunersee. Der Sprung ins kalte Wasser, das Aushalten der Kälte und das Belebende danach – das bringt mich wieder ins Lot.» Und manchmal wird sie selbst von Seelsorglichem überrascht: «Ein Kollege hat sich kürzlich bei mir entschuldigt, völlig unerwartet. Das war für uns beide heilsam. Versöhnung kann gesünder machen als jede Medizin.»

 

Die Theologin Isabelle Noth lehrt als Professorin für Seelsorge, Religionspsychologie und Religionspädagogik. Zudem leitet sie das ökumenische Ausbildungsprogramm für Seelsorge und Spiritual Care an der Universität Bern.

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