News von der Glarner reformierten Landeskirche

Sinn finden auch in schwieriger Zeit

von Ulrich Knoepfel
min
28.12.2025
In unserer krisengeplagten Zeit stellen sich viele Menschen die Frage nach dem Sinn. Wie können wir angesichts der ökologischen, kriegerischen, wirtschaftlichen und gesundheitlichen Bedrohungen einen Sinn finden?

Die von Viktor E. Frankl (1905 – 1997) geschaffene psychotherapeutische Schule der Logotherapie (von griech. Logos = Sinn) stellt die Hilfe zur existenziellen Sinnfindung in den Mittelpunkt. Nach ihr ist die Grundmotivation des Menschen sein Wille zum Sinn. Dabei ist es nach Frankl verkehrt, nach dem Sinn im Leben zu fragen, sondern es verhält sich umgekehrt: Das Leben befragt uns, und wir sind aufgefordert zu antworten – indem wir frei und verantwortlich unsere Lebensentscheidungen treffen.

Drei «Strassen zum Sinn» beschreiben die grundsätzlichen Möglichkeiten, wie Menschen Sinn verwirklichen können.

1. Die schöpferischen Werte – Sinn durch Tun und Gestalten
Zuvorderst steht das schöpferische Handeln, also alles, was der Mensch aktiv hervorbringt: Arbeit, Schaffen, Gestalten, Beiträge zur Gemeinschaft, kreative Leistungen oder alltägliche Tätigkeiten, die der Welt etwas hinzufügen. Es geht hier darum, die eigenen Fähigkeiten einzusetzen und Verantwortung für das zu übernehmen, was man in die Welt bringt. Der Mensch realisiert so Sinn durch Wirkung: indem er etwas realisiert, das vorher nicht existierte.

2. Die Erlebniswerte – Sinn durch Begegnung und Erleben
Die zweite Strasse besteht im Erleben von Wahrheit, Schönheit, Natur, Kunst, Liebe oder Begegnung. Frankl betont die Liebe als höchste Form dieser Werte, weil sie dem Menschen erlaubt, das Wesen eines anderen Menschen zu erkennen und zu bejahen. Statt des Schaffens steht das Empfangen im Vordergund, das offene und wertschätzende Erleben der Welt, das uns erfüllt und aufrichtet: ein Musikstück, ein Gespräch, eine Landschaft, eine lebendige Beziehung. Hier liegt der Sinn im Annehmen, Wahrnehmen und Ergriffenwerden.

3. Die Einstellungswerte – Sinn durch Haltung im Leiden
Die dritte und menschlich anspruchsvollste Strasse öffnet sich dann, wenn der Mensch weder schaffen noch erleben kann – etwa in Leid, Schuld oder einer Situation, die sich nicht ändern lässt. Selbst hier, so Frankl, kann der Mensch Sinn finden, indem er tapfer die Haltung wählt, mit der er dem Unvermeidbaren begegnet. Einstellungswerte verwirklicht, wer Leid mutig, würdevoll oder solidarisch trägt. Frankl betont: Leid ist nicht an sich sinnvoll, aber der Mensch kann dazu Stellung nehmen und damit Sinn stiften. Die Freiheit, eine Haltung zu wählen, bleibt selbst unter extremsten Bedingungen – ein Grundgedanke, den Frankl aus seinen Erfahrungen als Häftling in den Konzentrationslagern Nazideutschlands gewonnen hat.

Die drei Strassen ergänzen sich. Je nach Lebenssituation steht eine von ihnen im Vordergrund. Wichtig bleibt:
• Sinn wird immer konkret verwirklicht – es gibt keinen formulierbaren allgemeinen Lebenssinn.
• Der Mensch ist verantwortlich für das, was er aus den Möglichkeiten macht, die ihm das Leben bietet.
• Sinn kann nicht beliebig erfunden werden, sondern wird entdeckt.

Damit beschreibt Viktor Frankl einen Weg zu einem erfĂĽllten Leben, der weder Optimismus noch Erfolg voraussetzt, sondern auf Freiheit, Verantwortung und innerer Haltung grĂĽndet.

Ulrich Knoepfel, Pfarrer und logotherapeutischer Berater ILE, Obstalden

Unsere Empfehlungen