Wie schreibt man einen guten Krimi?
TIM KROHN:
Das Schöne an Kriminalromanen ist, dass sie einer sehr einfachen Form folgen, die jede und jeder kennt und versteht. Es geschieht ein Verbrechen, und das wird aufgeklärt. Diese Einfachheit führt dazu, dass sehr viel Raum für Kapriolen der Geschichte, Seitenstränge, die in die Irre führen, sonderbare Charaktere und absurde Dialoge ist. Alles kann eine Spur zur Aufklärung des Verbrechens sein, also ist alles gleichermassen interessant. Es ist ähnlich wie mit Filmmusik, die kann auch sehr modern und abstrakt sein, doch jeder Mensch akzeptiert und liebt sie, weil sie emotional so eng mit der Handlung verknüpft ist.
Dazugekommen bin ich wie die Jungfrau zum Kind. Verleger Kampa rief mich an und sagte mir, dass er einen Verlag gründen will, der auf Krimis spezialisiert ist. Er bat mich, Krimis zu schreiben, die im Engadin spielen. Da wir dringend Geld brauchten, sagte ich zu - obwohl ich null Ahnung vom Krimischreiben hatte. Ich warnte Kampa auch vor, aber er sagte: „Ich weiss, dass du schreiben kannst, also kannst du auch Krimis schreiben.“ Was macht in meinen Augen einen guten Krimi aus? Diese Fragen stellte ich damals auch Kampa. Er sagte: „Der Kommissar muss männlich, in die Jahre gekommen und ein Geniesser sein. Die weibliche Leserschaft soll ihn lieben und beschützen wollen. Der Mord muss in den ersten dreissig Seiten passieren. Und es muss zwingend ein Mord oder zumindest qualifizierter Totschlag oder Mordversuch sein.“ Ich brach in meinem ersten Krimi alle diese Regeln, ausser dass auch mein Kommissar männlich ist. Das Buch stand anderthalb Jahre auf der Bestsellerliste. Kurz: Ich habe keine Ahnung, was einen guten Krimi ausmacht.
«Ich brach im ersten Krimi alle diese Regeln»
Mein jüngster Krimi, „Der Engadiner Dorfpolizist“, war mir ein Herzensprojekt. Ich sagte Kampa, ich will einen Krimi mit sehr liebenswerten Menschen und einem zweiten, überhaupt nicht kriminalistischen Thema schreiben, die Neugründung eines klassischen Dorfladens in einem fast verlassenen Bergdorf. Ebenso wichtig war mir aber auch die Verwicklung des Hauptstrangs, es geht um eine höchst unkonventionelle Liebe im strengen Engadin der Siebzigerjahre, um Radikalität und Lebenszugewandtheit, selbst auf Kosten aller gesicherten Werte.
Andere Krimis kenne ich nur sehr wenige. Bevor ich meinen ersten schrieb, gab Kampa mir die besten zehn Romane von Georges Simenon zu lesen, in einen davon habe ich mich regelrecht verliebt. Es ist zwar kein Krimi, aber einen Toten gibt es trotzdem, und Simenons Kunst, fast wortlos ungeheure Atmosphären zu erschaffen, ist hier unnachahmlich gut gelungen. „Die Ferien des Monsieur Mahé“, übersetzt von Seib Günter, Kampa Verlag Zürich.
*Tim Krohn ist im Glarnerland aufgewachsen und lebt heute in Sta. Maria Val Müstair. Bei Kampa hat er unter dem Bündner Pseudonym Gian Maria Calonder 9 Krimis publiziert, der neuste ist «Der Engadiner Dorfpolizist» Bild https://kampaverlag.ch/produkt/der-engadiner-dorfpolizist-ebook/ Porträt: https://www.kirchenbote-online.ch/artikel/tim-krohn-lebt-es-sich-auf-dem-land-freier/
REGINE IMHOLZ
Das Faszinierende am Schreiben von Krimis ist für mich die Möglichkeit, in spannende Geschichten einzutauchen, die Protagonisten zu erfinden und sie dann nach Lust und Laune agieren zu lassen. Als Autorin kann ich bestimmen, ob, wann und wie die Bösen gefasst werden. Es macht Spass, Dialoge zu erfinden oder die Gedanken zum Beispiel des Cumissari Matti Coray immer weiter zu spinnen. Anders als im wahren Leben, bin ich es, welche die Geschicke leitet, es gibt keine Überraschungen - ausser ich lasse sie mir einfallen.
«Ich dachte: Das wäre ein schöner Platz zum Sterben»
Dazu gekommen bin ich ohne Plan. Natürlich habe ich als Journalistin das Schreiben geliebt, aber ich hatte nie die Absicht, ein Buch zu schreiben. Und dann stand ich da an diesem wunderschönen Sommermorgen während einer Wanderung mit unserem Hund unter einem überwältigend schönen Wasserfall und dachte: Das wäre ein schöner Platz zum Sterben. Und schon begann die Phantasie mich umzutreiben. Aus diesen Phantasien entstand mein erster Krimi: Die Tote am Wasserfall. Bei den nächsten zwei Krimis war es ähnlich - immer waren es spezielle Orte, die mich zu den Geschichten inspirierten. So die Ruinaulta, der Grand Canyon der Schweiz, wo ich sogar auf einem Schlauchboot den Rhein hinuntergedonnert bin. Und für die „Eiskalte Surselva“ bin ich hoch oben auf dem Baumwipfelpfad in Laax auf die Idee für die Geschichte gekommen.
Ein guter Krimi ist für mich, wenn ich mich freue, am Abend ins Bett zu gehen. Einfach, weil da dieses Buch neben meinem Bett liegt und darauf wartet, dass ich mit ihm auf die Jagd nach dem Bösen gehe. Wenn ich fast nicht aufhören kann zu lesen - auch wenn ich vor Müdigkeit kaum mehr die Augen offen halten kann. Es muss mindestens ein Protagonist für mich sympathisch sein, ich sollte mich ein bisschen mit der Person identifizieren können. Und die Geschichte muss Sinn machen. Nichts finde ich schlimmer bei einem Buch, als wenn man immer wieder auf Unlogik stösst. Doch es gibt noch etwas Schlimmeres: Wenn die „Schreibe" grottenschlecht ist. Dann ist es Zeit, das Buch zu entsorgen.
Welches meiner Bücher mir am besten gefällt, kann ich so nicht sagen. Während des Schreibprozesses ist es immer das, woran ich gerade arbeite, aber wenn ich die drei im Regal so ansehe, kann ich mich nicht für einen Favoriten entscheiden.
Mein Lesetipp: Der schwedische Autor Hakan Nesser. Überhaupt mag ich die Krimis aus dem Norden. Nicht alle, manche sind mir zu brutal und blutig. Aber grundsätzlich mag ich sie, diese taffen Ermittlerinnen und zum Teil verschrobenen Ermittler unter der Mitternachtssonne. Im Sommer gehe ich gerne mit den Krimis aus Südfrankreich auf Reisen.
Regine Imholz hat ihr Zuhause am Walensee und im Bündnerland. Dort spielen auch ihre drei Krimis mit dem Ermittlerteam Matti Coray /Katja Kurtz. Zuletzt erschienen bei emons: „Eiskalte Surselva“ Bild: https://emons-verlag.de/media/image/4b/9a/a6/86170.jpg
Wie schreibt man einen guten Krimi?