News von der Glarner reformierten Landeskirche

Keine Zeit!

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06.02.2023
Pfarrer Immanuel Nufer aus dem Kirchenkreis Glarus Nord schreibt in der Rubrik #denkpause über das Phänomen des Keine-Zeit-Habens.

Keine Zeit! Diese Aussage kennen Sie bestimmt. Es scheint fast schon eine Modeantwort zu sein. Für die einen - so könnte man meinen - gehört dieses Betonen des Keine-Zeit-Habens zum Statement eines wichtigen und erfüllten Lebens. Für die meisten aber ist es eher Ausdruck der Ohnmacht gegenüber all den Herausforderungen des Lebens. Oft sind es besondere berufliche Situationen, welche uns die Zeit nehmen. Dabei vertrösten wir uns, dass dies bloss eine temporäre, aussergewöhnliche Situation sei, durch die man jetzt einfach hindurchmüsse. Nur: Diese vermeintlich vorübergehende Knappheit der Zeit entpuppt sich allzu oft als chronischer Mangel. Die anfängliche ausserordentliche Arbeitsbelastung wird nicht kleiner, sondern bleibt oder wird durch neue Herausforderungen abgelöst. Und so bleibt uns diese Standardantwort - keine Zeit - haften wie ein angeborener Reflex.

Doch weshalb haben wir kaum Zeit? Glaubt man den neuesten Studien von Ökonomen, dann ging die Jahresarbeitszeit in den letzten 30 Jahren kontinuierlich um über 140 Stunden zurück. Das sind fast vier Wochen zusätzliche Ferien bezogen auf eine heutige durchschnittliche Wochenarbeitszeit von 40 Stunden. Und im Vergleich zur Arbeitszeit der Fabrikarbeiter im 19. Jahrhundert, welche in den schlimmsten Zeiten bis zu 16 Stunden am Tag (und dies an sechs Tagen die Woche) arbeiten mussten, ist dies geradezu ein Klacks.

Mit der Arbeitsbelastung hat das heutige Phänomen wohl nur indirekt zu tun. Vielmehr ist es das überwältigende Angebot im Bereich Konsum und Selbstverwirklichung, mit welchem wir uns täglich zerstreuen lassen. Dabei erliegen wir den Versprechungen dieser Angebote und meinen, etwas zu verpassen, wenn wir sie nicht in Anspruch nehmen. Ständig gibt es etwas Neues zu entdecken. So sind wir ohne Unterbruch beschäftigt. Zurück bleibt das klemmende Gefühl, keine Zeit zu haben. 

Zeit haben oder nicht haben ist eine sehr relative Angelegenheit. Nüchtern betrachtet haben wir heute viel mehr freie Zeit für uns selbst als früher. Dennoch dauert der Tag auch heute nur 24 Stunden - wie vor 150 Jahren. Wenn wir Zeit haben wollen, brauchen wir daher zuerst den Mut, uns einzugestehen, dass wir nicht für alles Zeit haben können. Zudem müssen wir uns heute mehr denn je fragen, was wir mit unserer - im Vergleich zu früher - vielen freien Zeit wirklich tun wollen. Das ist Privileg und Verantwortung zugleich. Werden wir uns dessen bewusst und nehmen uns die Zeit, darüber nachzudenken, was im Leben wirklich zählt, dann können wir dafür auch Zeit einplanen. All die Nebensächlichkeiten dürfen dabei bewusst aufgeschoben werden oder sogar ganz liegen bleiben. Vielleicht ist man dann schnell erstaunt, wieviel Zeit einem für das wirklich Wichtige bleibt.

 

 

 

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