Nachgedacht: Zum Neujahr
Das jüdische Neujahr wird zwar im Herbst gefeiert, doch dessen Grundideen, auf die es mir ankommt, können gut auf unser Neujahrsfest übertragen werden. Zwei Tage lang dauert das jüdische Neujahrsfest. Es steht am Anfang einer zehntägigen Besinnungszeit, welche bis zu einem nächsten Feiertag dauert - dem Jom Kippur, dem Versöhnungstag. Es lädt dazu ein, über das vergangene Jahr nachzudenken und dabei eine ganz persönliche Bilanz des eigenen Lebens zu ziehen. Wie ist es mir im vergangenen Jahr ergangen? Was habe ich mit anderen Menschen zusammen erlebt? Wie habe ich mich ihnen gegenüber verhalten? Wo habe ich mitgewirkt, Schönes und Gutes in meinem Wirkungskreis zu vermehren, wo habe ich es eher verhindert? Und wo finden sich Spuren Gottes und des Glaubens?
Das Leben positiv gestalten
Der Aufbau des Festes, seine Bräuche und die vom Glauben geprägten Elemente sprechen von der inneren Kraft, die der Mensch von Gott empfängt, um sein Leben positiv zu gestalten – es, wo nötig, neu auszurichten und auch neue und überraschende Wege zu gehen. Dazu wird im Gottesdienst mehrmals ein Widderhorn, das Schofar, geblasen. Es soll wachrüt-teln und dazu anregen, zur inneren Berufung als Kind Gottes zurückzufinden. Jede heilsame Einsicht, die näher zu Gott und zur Nächstenliebe führt, wird freundlich willkommen geheissen.
Das Neujahr ist ein Fest der Freude. Dies zeigt auch der besondere Speisezettel dieser beiden Festabende mit speziellen, nur für diese Feiern zubereiteten Speisen, welche je nach Ur-sprungsland variieren. Die aus Osteuropa stammenden aschkenasischen Gemeinden haben die Gewohnheit, einen Apfelschnitz in Honig zu tauchen und zu sprechen: Möge dieses Jahr so süss sein, wie der in Honig getauchte Apfel. In den auf das spanische Judentum zurückgehenden Gemeinden wird ein rituelles Essen zubereitet.
Die Festtafel wird prächtig geschmückt und ausschliesslich mit süssen Speisen bedeckt, deren hebräische oder aramäische Namen einen zum Fest passenden biblischen Bezug haben. Man sagt deshalb: Am Abend von Rosch Haschana »essen wir das Buch«. Nebst Apfelstücken mit Honig werden Kerne des Granatapfels in einer kleinen Schale dargeboten. Im Judentum steht der Granatapfel mit seinen vielen Kernen für Fruchtbarkeit und verweist zugleich auf die lebensspendenden Anweisungen Gottes, die in der Bibel stehen. Zum Essen sagt man daher sinngemäss zu Gott: »Möge es dein Wille sein, dass sich die Zeiten, in denen wir deinen Willen tun, vermehren wie die Kerne des Granatapfels«.
Kennen wir ähnliche Bräuche, in denen das Neujahr, der Glaube und der kulinarische Genuss eng miteinander verwoben sind? Und auf welche Ideen bringen uns die Elemente des jüdischen Rosch Haschana?
Text und Bild: René Hausheer-Kaufmann, Pfarrer in Glarus Nord
Nachgedacht: Zum Neujahr